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Michael Kraske „Der ganz normale Hass

Der ganz normale Hass


Seit zehn Jahren betreibt Uwe Dziuballa in Chemnitz das jüdische Restaurant "Schalom". Die Schmähungen und Zerstörungen nehmen kein Ende.


Michael Kraske, Sächsische Zeitung, 28.04.2010


Als Uwe Dziuballa morgens mit dem Fahrrad zu seinem Restaurant geradelt kam, erwarteten ihn neue Spuren des Hasses. Glas von allen fünf Lampen lag vor dem Eingang, die Fassungen waren rausgebrochen. Aus dem eingetretenen Briefkasten kroch eine Urinspur, Spucke klebte an der Eingangstür. Ein älteres Paar auf dem Gehweg hielt kurz inne. "Guck mal", sagte der Herr, "das sieht ja aus wie im Saustall." Die beiden wechselten die Straßenseite.

Eine Woche ist das her. Uwe Dziuballa, 45, beugt den wuchtigen Körper über den Tisch in seinem Restaurant, die freundliche Plauderstimme wird hart. Geschämt habe er sich in diesem Moment, sagt er. Dann bricht es aus ihm heraus: "Ich stand da und hatte die Schnauze voll." Er wiederholt das zweimal. "Ich war genervter als bei den vier Reifen, die sie am Lieferwagen zerstochen hatten. Genervter als bei dem Schweinekopf, der morgens vor der Tür lag." Er habe wieder mal den Herrn vom Staatsschutz angerufen. Der sei dann auch gekommen und habe Fotos gemacht. Einen Koffer zur Spurensicherung habe er nicht dabeigehabt. "Da war Urin und Spucke. Aber wenn man keine Spuren sicherstellt, kann man auch keine auswerten." Dziuballa lacht bitter. Die Polizei verweist darauf, dass der Tatort fotografiert und Scherben sichergestellt worden seien.

Der Gastronom hat eine Leidenschaft für Zahlen. Über vieles führt er Statistik, es ist seine Art, die Welt zu begreifen. In den vergangenen zehn Jahren hat er 77918 Gäste im Restaurant gezählt, das er mit seinem Bruder Lars Ariel betreibt. Er zählte 35900 gegrillte Hühnerbrüste, über 82400 geöffnete Kronkorken und 385 Vorträge, Musikabende und Lesungen. Und er hat in dieser Zeit 1492 Drohanrufe gezählt.

Manchmal hört er am Telefon nur Atem. Oder aber eine Stimme sagt: "Wir wissen, wo du wohnst. Du wirst nicht mehr lange leben. Verschwindet! Jude verrecke!" Im Briefkasten liegen schon mal Schreiben mit Hakenkreuz und Reichsadler. "Judentum ist keine Religion, sondern ein Verbrechen", steht auf einem Papier ohne Absender. Ein "Patriot, Chemnitz" dichtet: "Mach auf die Tür und rude, werft raus das Übel Jude!" Dziuballa sagt, anfangs habe er der Polizei alles gemeldet: Anrufe, die zerstochenen Reifen, rausgerissene Blumen, Schmierereien, zerkratzte Türen.

Er zeigt Fotos von den Taten. Die Schreiben vom Staatsanwalt kennt er auswendig: Das Ermittlungsverfahren wird eingestellt, weil der Täter nicht ermittelt werden konnte. Darum hat er viele Jahre nichts mehr angezeigt, aber nach einem Schmäh-Anruf war seine "Frau Mutter" neulich doch wieder beim Staatsschutz. Die Polizei müsste also von den permanenten

Drohungen wissen. Polizeisprecher Frank Fischer teilt jedoch mit, Dziuballa habe von insgesamt sechs Anzeigen nur zwei über anonyme Anrufe erstattet. Dziuballa sagt dazu, er habe die Beamten in diversen Gesprächen über etliche Straftaten informiert und auch den Telefonterror erwähnt. Die Vielzahl der Drohanrufe sei für die Polizei bislang nicht nachzuvollziehen gewesen, hält Fischer dagegen. Der Gastronom habe "offenbar in den seltensten Fällen Anzeige erstattet". Das "Schalom" sei aber "präventiv besonders im Blick". Verhindern konnte die Polizei viele Übergriffe aber nicht.

In Karl-Marx-Stadt geboren, verbrachte Uwe Dziuballa seine Kindheit mit den Eltern in Belgrad. Im Fernsehen liefen Heldengeschichten über Partisanen, mit den Jungs spielte er Krieg. Er war acht oder neun Jahre alt, als er seinem Vater stolz vom Sieg über die feindliche Partisanen-Bande berichtete: "Papa", sagte er, "ich bin jetzt Obersturmbannführer." Das Wort hatte er aufgeschnappt. Ohne zu wissen, dass es einen Rang der SS bezeichnet. Der Vater schlug zu, Uwe stürzte, der Vater lief weinend in die Stube. Der Junge verstand gar nichts. Danach weihte ihn der Vater in die Familiengeschichte ein. Uwe erfuhr, dass sein Großvater mit 27Jahren in Dormagen erschlagen, viele Verwandte ermordet worden waren. "Zwei Tage später wurde ich Partisanen-Kommandant", erinnert sich Uwe Dziuballa.

Das Judentum lernte er kennen, Geschichten über Israel und die Kibbuz-Bewegung, aber religiös war der Mann, der heute eine Kippa auf dem Kopf trägt, lange nicht. In der DDR studierte er Elektrotechnik, nebenbei lernte er Heines "Deutschland. Ein Wintermärchen" auswendig. Ein Denker, der gern Wandzeitungen produzierte. Als die Mauer weg war, machte er in Köln eine Ausbildung bei der Deutschen Bank, wurde abgeworben, verkaufte in New York und Miami Geldanlagen. Ihm gefiel, wie "normal egal" es war, als Jude in Amerika zu leben. Wo in jüdischen Altersheimen auch Nichtjuden jüdische Feste feiern. Als der Vater immer länger im Krankenhaus lag, kehrte er nach Chemnitz zurück. Kurz darauf starb sein Vater, 57 Jahre alt, an Krebs. 1994 war das. "Ein Schlüsselerlebnis", sagt Dziuballa.

Er und sein jüngerer Bruder entdeckten nun den Glauben. Lars Ariel studierte bei Rabbinern in Israel, ist heute Vertrauter des Berliner Rabbiners Yitzchack Ehrenberg. "Mein Rabbi ist mein Bruder", sagt Uwe. Er selbst ist nun nach der Tradition verantwortlich für Mutter und Bruder. Nach dem Verlust des Vaters diskutierten sie: Bleiben oder weggehen? Sie gründeten in Chemnitz den Verein "Schalom", hielten Vorträge in Schulen, später eröffneten sie das Restaurant.

Freitagmittag. In wenigen Stunden beginnt der Sabbat. Das Restaurant bleibt geschlossen. Dziuballa wird mit seiner Frau spazieren gehen, um Ruhe zu finden. Der Bruder wird das koschere Brot backen, sie werden sich bei der Mutter treffen, gemeinsam essen, beten, singen und reden. Seit vielen Jahren machen sie das so, jeden Freitag.

Ein Familienglück, aber das wird immer wieder jäh gestört, alle paar Tage oder Wochen. Es kommt vor, dass Uwe Dziuballa ein Fest besucht, alles ist harmonisch, bis das Handy klingelt und ihn jemand als "saudummen Juden" beschimpft. Jeder Anruf ein widerlicher Nadelstich. In der Summe: Psycho- Terror.

Dziuballa wirft das Foto von dem Schweinekopf, der vor vier Jahren vor der Tür lag, auf den Tisch. "Der muss ja angefasst worden sein. Das Tier war vielleicht irgendwo registriert." Mit dem Finger tippt er auf den blauen Davidstern, der auf das Tier geschmiert ist. Fragt aufgewühlt, was das wohl für eine Farbe ist. Worte stocken, bevor sie sich überschlagen. Die Ermittlungen schildert er so: Am Telefon habe ihn ein Polizist gefragt, ob er den Schweinekopf vorbeibringen könne. Nach seinem Einwand, dadurch würden Spuren zerstört, seien doch noch Beamte gekommen. Einer habe später angerufen, weil die Fotos vom Tatort nicht mehr zu finden seien. Also habe er der Polizei seine zur Verfügung gestellt. Der Kopf habe im Kriminaltechnischen Labor untersucht werden sollen. "Wie mir mitgeteilt wurde, ist er in der Tierkörperverwertung gelandet. Darauf habe ich mir meinen Reim gemacht." Polizeisprecher Fischer bestätigt: Der Kopf wurde nicht im Labor untersucht, sondern vernichtet. Der Täter hätte alle Merkmale zur Herkunft des Kadavers entfernt. Von Dziuballa erhoffe man sich "mehr Kooperationsbereitschaft". Warum anzeigen, fragt der, bringt doch eh nichts.

Das "Schalom" und sein Geschäftsführer sind über Chemnitz hinaus bekannt. Am Eingang hängen Fotos berühmter Gäste: der Publizist Henryk M. Broder war da, der Kabarettist Dieter Hildebrandt. Bei der letzten Kommunalwahl trat Uwe Dziuballa für die SPD an. Man könnte vermuten, das garantiere Solidarität, zumal Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig in der SPD ist, wie ihr Vorgänger Peter Seifert. Haben die Bürgermeister ihn unterstützt? Setzten sie ein Zeichen? "Nichts, gar nichts kam von denen", sagt Dziuballa, "ich empfinde keine Wut, aber grenzenlose Ernüchterung."

Auf Veranstaltungen nehmen ihn Politiker beiseite. "Muss das denn sein, das öffentlich zu machen?", werde er dann gefragt, "das wirft doch ein schlechtes Licht auf die Stadt." Wer so was sagt, will Dziuballa nicht verraten. Der vertraute Ton legt nahe, dass es sich um Parteifreunde handelt. Er will niemandem etwas unterstellen. Unter den Polizeibeamten seien akribische Ermittler gewesen. Aber einer habe flapsig bemerkt, dass er sich nicht wundern müsse, wenn er ein Restaurant mit diesem Logo betreibe. Das zeigt einen Davidstern auf Füßen. Das Schild am Eingang wird immer wieder demoliert.

Man fragt sich, warum er sich das antut. Bis heute hat er Schäden in Höhe von 39741,63 Euro errechnet. Was der Hass in ihm anrichtet, zeigt er nicht. Nach dem letzten Übergriff organisierte die Frau von der Chemnitzer Tafel eine Mahnwache. Dziuballa sah in der Kälte Gäste des "Schalom" ausharren, auch Unbekannte. "Ich hätte nicht gedacht, wie gut mir das tut."

Ins Restaurant kommen Stammgäste, Juden und Nichtjuden, aber immer noch fragen einige unsicher, ob sie denn hier essen können, auch wenn sie keine Juden sind. Er erzählt von dem Gast, der eine Tomatensuppe bestellt hatte. "Die jiddische Tomatensuppe ist wie die Liebe", sagt Dziuballa, "sie fängt süß an und wird nach unten immer schärfer." Er erkannte am Gesicht des Mannes, dass ihm die Suppe nicht schmeckt, und fragte nach. Nein, alles bestens, wehrte der Gast ab. Dziuballa blieb hartnäckig: Sprechen Sie bitte ganz offen. Derart ermutigt rückte der Mann mit der Sprache heraus: "Ich will nicht antisemitisch erscheinen, aber die Suppe hat mir nicht so geschmeckt." Uwe Dziuballa hat ihm versichert, dass Kritik an der Pfeffermenge nicht antisemitisch ist. Der Gast kommt seitdem regelmäßig, isst aber keine Tomatensuppe.

Ein glücklicher Moment wäre, wenn ein Gast die Tomatensuppe im "Schalom" kritisieren würde, ohne zu überlegen, wie er das dem Juden am besten sagt. Um dieser Normalität näherzukommen, macht Uwe Dziuballa weiter. Darum wird er das frisch geritzte Hakenkreuz auf der Toilette überpinseln. Er schließt die Eingangstür mit dem hässlichen Riss im Glas ab und geht in den Sabbat.

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Michael Kraske


Journalist und Buchautor in Leipzig, geboren 1972 in Iserlohn, Absolvent der Henri-Nannen-Journalistenschule, Reportagen und Porträts u.a. für: stern, Geo, Die Zeit, Merian, Reader´s Digest, Playboy, Tagesspiegel, Sächsische Zeitung, Stuttgarter Zeitung; Buchautor u.a. von „Und morgen das ganze Land – Neue Nazis, befreite Zonen und die tägliche Angst; ein Insiderbericht“ (Herder 2007), zuletzt erschienen: „Ich bin dann mal drüben, Von einem, der auszog, den Osten zu lieben“ (Herder 2009); Themenschwerpunkte: Ostdeutsche Gesellschaft und Rechtsextremismus; mehrfach ausgezeichnet für seine Berichterstattung aus den neuen Bundesländern, zuletzt mit dem Sächsischen Journalistenpreis 2010 für „Mügeln und die Courage“.
Dokumente
Der ganz normale Hass

erschienen in:
Sächsische Zeitung,
am 28.04.2010

 

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